Prozessprotokolle

Vorwort

Die Prozessprotokolle werden von uns im Anschluss an die Prozessbeobachtung angefertigt. Dazu machen wir uns während der Verhandlung möglichst wortgenaue Notizen und schreiben daraus im Nachhinein meist gemeinschaftlich das Protokoll. Manchmal stellt sich dabei heraus, dass bestimmte Äußerungen oder Abläufe von verschiedenen Personen unterschiedlich wahrgenommen wurden, sodass wir über einzelne Passagen im Nachhinein noch einmal diskutieren, um sie für das Protokoll möglichst genau rekonstruieren zu können.

Die Protokolle bilden zum einen den reinen Ablauf der von uns beobachteten Verhandlung ab, sollen aber auch die Atmosphäre im Gerichtssaal vermitteln. Deshalb nehmen wir neben den gesprochenen Inhalten auch Beobachtungen unsererseits auf, welche wir in eckige Klammern setzen. Die Namen der am Prozess Beteiligten werden durch uns anonymisiert. Da Daten wie das Alter oder der Beruf der Personen für eine spätere Analyse hilfreich sein können, nehmen wir diese im Protokoll auf, sofern sie uns bekannt sind und sie keine Rückschlüsse auf die tatsächliche Identität der Personen zulassen.

Eines der Ziele unserer Arbeit ist es, Rassismus im Gericht sichtbar zu machen. Der Gerichtssaal gilt sowohl im alltäglichen Verständnis als auch nach Ansicht der allermeisten Justizmitarbeiter_innen als  neutraler Raum, indem alle Menschen gleich behandelt werden. Diese Sichtweise schließt auch das Wirken von Rassismus im Gericht aus. Die gesellschaftlich hergestellten Differenzlinien und die unterschiedliche Behandlung, der Menschen im Gericht ausgesetzt sind, werden damit negiert.

Auch wir wollten ursprünglich in den Protokollen keine rassialisierten Merkmale von Prozessbeteiligten benennen, da wir diese gesellschaftliche Kategorisierung von Menschen nicht reproduzieren möchten. Jedoch verdeutlicht gerade der Kontext Justiz, dass diese Konstrukte soziale Wirkungen haben und genau dies soll durch unsere Arbeit sichtbar gemacht werden.

Für die Sichtbarmachung von Rassismus ist es daher aus unserer Sicht unvermeidbar, dass wir die Kategorien, in die Menschen eingeordnet werden, auch in unsere Protokolle aufnehmen. Aus diesem Grund halten wir in einer dem Protokoll vorangestellten Personenübersicht einmalig fest, ob Personen weiß oder (potentiell) von Rassismus betroffen (People/Person of Color/PoC) sind. Diese Entscheidung haben wir nach einer langen Diskussion getroffen; uns ist dabei bewusst, dass wir von außen Menschen benennen und diese Bezeichnung möglicherweise nicht der Selbstpositionierung der betreffenden Personen entspricht. Sofern uns die Selbstbezeichnung von Menschen bekannt ist, verwenden wir diese. Ansonsten geht es bei der von uns vorgenommenen Einordnung darum, wie Menschen gesellschaftlich gesehen werden.

Ohne die Benennung der Kategorien fehlt unserer Meinung nach der Kontext, in dem bestimmte Aussagen gesehen werden müssen, will man Rassismus im Gericht verstehen. So macht es zum Beispiel einen Unterschied, ob ein_e weiße_r Richter_in zu einer Person of Color oder einer weißen Person sagt, dass er_sie bezüglich eines rassistischen Erlebnisses sehr emotional reagiert habe. Weiterhin wird durch die Verwendung der Kategorien in unseren Protokollen auch sichtbar, dass in der Justiz weiße Normen und Erfahrungen dominieren und insbesondere die machtvollen Positionen – die der Richter_innen und Staatsanwält_innen – ganz überwiegend weiß besetzt sind.