Monthly Archives: June 2015

Prozessbericht “Von Rassenanthropologie und anderem Unsinn” und Aufruf zur Prozessbeobachtung!

Am 28. April 2015 fand ein Gerichtsprozess gegen die junge weiße Aktivistin F. statt, die in Reaktion auf rassistisches Handeln der Polizei im Zuge von Personenkontrollen Schwarzer Menschen zwei Polizeibeamte als Rassisten bezeichnete. Die Aktivistin wurde mit dem Vorwurf der Beleidigung beschuldigt. Den Prozessbericht von F. ihres nichtöffentlichen Verfahrens gibt es unten.

Nächster Verhandlungstermin in dem Kontext: 2. Juli, 13 Uhr, Landgericht Erfurt

Am 2. Juli 2015 findet der Berufungs-Prozess gegen B. statt, der Ziel von rassistischen Polizeikontrollen wurde.
Geht hin, unterstützt den Angeklagten und setzt ein Zeichen gegen Rassismus und rassistische Praktiken!

Prozessbericht vom 28.04.2015:
Von Rassenanthropologie und anderem Unsinn

Verfasst von: F. via Rote Hilfe Erfurt (rotehilfeerfurt.blogsport.de)
übernommen von linksunten.indymedia.org

Am 28.04.2015 fand gegen mich ein Prozess wegen Beleidigung zweier Polizeibeamter statt, die ich als Rassisten bezeichnet hatte. Dieser Prozess fand unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, weswegen ich das Geschehene hiermit nachträglich dokumentieren möchte.

Hintergrund war der Prozess gegen B., der im Zuge einer Racial Profiling-Kontrolle auf dem Anger denselben Vorwurf geäußert hatte. B wurde letzten Oktober in einem kuriosen Prozess zu einer Geldstrafe von 600 Euro verurteilt, er selbst und die Staatsanwaltschaft sind jedoch in Berufung gegangen. Vor B.s Prozess kam es zu weiteren rassistischen Übergriffen seitens der Polizei, z.B. als ausschließlich Schwarze Personen genötigt wurden sich im Zuge der Personenkontrollen bis auf die Unterhose auszuziehen oder nach ansteckenden Krankheiten gefragt wurden. Am Tag des Prozesses war ich Zeugin dieser Übergriffe, die ich nicht unkommentiert lassen wollte.

In den kommenden Monaten trudelten nacheinander eine Vorladung der Polizei, eine Einladung der Jugendgerichtshilfe, eine Anklageschrift und schließlich die Ladung zum Gerichtstermin in meinem Briefkasten ein. Am 28.04.2015 hatten sich mehr als ein Dutzend solidarische Menschen vor dem Amtsgericht eingefunden, denen jedoch der Zutritt zum Verhandlungssaal verwehrt wurde, da Prozesse gegen Personen, die unter das Jugendstrafrecht fallen, üblicherweise nicht-öffentlich geführt werden. Der Bitte meiner Verteidigerin, Richterin Schwarz möge doch von ihrem Ermessensspielraum Gebrauch machen, kam sie nicht nach. Lieber nörgelte sie vom oberen Ende der Treppe in den Flur, dass die Verhandlung nun zu spät beginne. Ob sie mit ihrem fußstampfenden „Hopp, hopp!“ die Justizbeamt*innen zu einer schnelleren Kontrolle oder mich zum schnelleren Treppensteigen animieren wollte, blieb unklar.

Nach dem üblichen Begrüßungsgeplänkel und dem Verlesen der Anklageschrift durch Staatsanwalt Peters begann ich, eine Prozesserklärung vorzutragen. Eigentlich wollte ich in fünf Minuten den Bogen von der rassistisch motivierten Kontrolle auf dem Anger über B.s Prozess bis zu zwei Beispielen schlagen, welche zeigen sollten, dass Rassismus uns alle betrifft und vor allem kein in einer weißen Mehrheitsgesellschaft sozialisierter weißer Mensch frei davon ist. […]

 

 

PM (von the voice): Miloud Lahmar Cherif von Beleidigungsvorwurf gegen rassistisch kontrollierende Bundespolizisten freigesprochen

Presseerklärung – Thomas Ndindah – vom 29.05.2015

In der heutigen Verhandlung gegen Miloud Lahmar Cherif am Amtsgericht Arnstadt wegen einer mutmaßlich „ehrverletzenden“ Beleidigung von Bundespolizisten im Zuge einer von letzteren vollständig unbegründbaren Personenkontrolle in einem Nahverkehrszug Richtung Meinigen entschied das Gericht auf Freispruch für den Angeklagten.

Die komplette PM kann hier nachgelesen werden.

Neue Prozessprotokolle und die Audioaufnahme unserer ersten Veranstaltung zu Rassismus im Gerichtssaal sind online!

Liebe Besucher_innen dieses Blogs!

Unter der Kategorie Prozessprotokolle sind neue Protokolle verfügbar.

Zudem stellen wir allen, die nicht dabei sein konnten oder die Veranstaltung noch einmal nachhören wollen, die Audioaufnahme der ersten Veranstaltung unserer Reihe “Rassismus im Gerichtssaal” vom 25.02.2015 zur Verfügung.

Fotografische Eindrücke der zweiten Veranstaltung der Reihe “Rassismus im Gerichtssaal” vom 20.05.2015 gibt es unter Fotos. Der Audiomitschnitt dieser Veranstaltung wird demnächst folgen.

Viel Freude beim Lesen und Hören sowie beim Kommentieren eurer Eindrücke, Anmerkungen, Einschätzungen, Anregungen etc. zu den Protokollen, den vergangenen Veranstaltung oder allgemein zum Thema Rassismus und Justiz.

Bericht zu Prozess in Dresden über Racial Profiling-Fall

Am 20. Mai verhandelte das Dresdner Verwaltungsgericht die Klage von
Biplab Basu gegen die Bundespolizei Dresden. Biplab Basu war im Zug in
Grenznähe mit seiner Tochter als einziger im Waggon kontrolliert worden.
Der Beamte nannte ihm keine Begründung für die Kontrolle; er wurde
ausschließlich wegen seiner Hautfarbe kontrolliert. Das Urteil soll in
einigen Wochen gefällt werden. (aus PM vom 21.05.2015 der KOP, Kampagne für Opfer rassistischer Polizeigewalt)


Prozessprotokoll 20.05.2015 Dresden
6. Kammer des VG Dresden, Saal 05
Beginn der Verhandlung: 13.40 Uhr
Anwesend: der Kläger Biplab Basu und seine Rechtsanwältin Fr. Burkhardt
Beklagte: Bundesrepublik/Bundespolizei
Drei Berufsrichter_innen, eine Schöffin, eine weitere beisitzende Person

Inhaltliche Eindrücke:
1. Die Richterin ist durchaus behördenkritisch, stellt klar, dass sie die grenznahen Kontrollen der Bundespolizei für europarechtswidrig hält.
2. Dabei leugnet sie jedoch durchgängig den rassistischen Charakter der Kontrollen: beim Vorzeigen des Passes handele es sich nicht um eine schwerwiegende Beeinträchtigung der Grundrechte, schließlich sei der Kläger nicht ins Zentrum des Intereses gerückt worden; sie belässt es jedoch nicht bei dieser Feststellung, sondern wirft dem Kläger zudem vor, er sei wohl etwas empfindsam und habe die Situation daher
subjektiv als diskriminierend empfunden – objektiv sei das aber nicht der Fall gewesen. Dies hat zwei Effekte: die Abwehrhaltung der Richterin bzw. das Herunterspielen der Rassismuserfahrung könnte dazu führen, dass die Klage wegen Unzulässigkeit abgewiesen wird. Zweitens wurde in der Diskussion über die Begründetheit der Klage zwar kontrovers über die Kontrollpraxis der Bundespolizei gesprochen, jedoch kam dabei das eigentliche Problem, nämlich der rassistische Charakter der Kontrollen, überhaupt nicht zur Sprache.
3. Unbeachtet bleibt die Praxis der Bundespolizei, ihre Kontrollen nicht zu dokumentieren. Das ist auch deshalb unverständlich, weil die Bundesrepublik mit Hilfe von Zahlen zu belegen sucht, keine systematischen Grenzkontrollen durchzuführen. Entsprechen jedoch die dokumentierten Kontrollen nicht den tatsächlich durchgeführten Kontrollen, ist die Kontrolldichte und damit die Systematik der Kontrollen nicht nachprüfbar.
4. Gleiches gilt für die Kriminalitätslageberichte: Unklar ist, wie oft Bundespolizist_innen Menschen kontrolliert und durchsucht haben müssen, um das Maß an qualitativen und quantitativen Gesetzesverstößen zu erreichen, das die Kriminalitätslageberichte ausweisen sollen. Die Berichte sind im Übrigen der Vertreterin des Klägers nicht bekannt. Sie werden nicht veröffentlicht.

Ablauf der Verhandlung
Die Zeug_innen werden gebeten den Saal zu verlassen.

Vortrag des Sachberichts

Auffassung des Klägers
Der Kläger, der deutscher Staatsangehöriger aus Indien ist, wurde am 26.07.2012 mit seiner Tochter im Zug auf der Strecke Prag-Dresden etwa sieben Kilometer hinter der deutsch-tschechischen Grenze durch die Bundespolizei kontrolliert. Außer seiner Tochter und ihm seien keine weiteren Reisenden im Abteilwagen kontrolliert worden. Er gibt an, dass er eine dunkle Hautfarbe habe. Der Kläger gibt weiterhin an, dass die anderen Zugreisenden eine helle Hautfarbe hatten. Die Beamten der Bundespolizei seien zielstrebig auf den Kläger und seine Tochter zugekommen, um deren Ausweise zu kontrollieren. Auf Nachfrage gaben sie an, dass es sich um eine stichprobenartige Kontrolle handele. Zu einem späteren Zeitpunkt kehrte einer der Beamten zum Kläger zurück und ergänzte, dass es auf dieser Strecke viel Zigarettenschmuggel gebe. Der Kläger werde allerdings nicht verdächtigt, Zigaretten zu schmuggeln.
Die Ausweiskontrolle habe den Kläger in seinem Recht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt.

Auffassung der BRD/Bundespolizei
Die Kontrolle sei rechtmäßig gewesen; Kontrollen innerhalb des grenznahen Raums würden gemäß § 23 Abs. 1 Nr. 3 BPolG der Verhinderung unerlaubter Einreisen sowie der Verhinderung von Straftaten dienen. Der polizeiliche Anlass der Kontrolle sei die Grenzüberschreitung gewesen.

[…]