Prozessprotokoll “Rassistische Festnahme beim Görlitzer Park” (2)

Protokoll der Verhandlung am 28.01.2015, 10:00 h
Amtsgericht Tiergarten, Saal C 102

3. Verhandlungstag Nuru H. (erste Instanz)

Einleitende Anmerkungen:
Es handelt sich um eine Neuverhandlung eines Prozesses, der am 18.07.2014 erstmals verhandelt wurde. Der erste Verhandlungstag wurde unterbrochen, da die Verteidigung des Angeklagten einen Befangenheitsantrag gegen den Richter gestellt hatte. Dieser hatte einen Zeugen (einen Polizeibeamten) nicht belehrt. Dies hat Bedeutung, da gegen diesen (und einige seiner Kolleg_innen) von Angeklagtenseite eine Anzeige gestellt worden war. Ohne Belehrung hätten seine Aussagen in einem Verfahren gegen ihn nicht verwendet werden können. Am 19.11.2014 wurde die Verhandlung neu begonnen. Der dritte Verhandlungstag war eigentlich für Ende November 2014 angesetzt, da jedoch der Staatsanwalt sowie die Verteidigung nicht erschienen, der Grund war nicht ganz klar, wurde der neue Prozesstermin in den Januar verschoben. Aufgrund der langen Pause musste der Prozess am 28.01.2015 wieder neu beginnen.

Beim Vergleich der Aussagen der Polizei-Zeugen an den verschiedenen Verhandlungstagen war auffällig, dass ihre Aussagen inhaltlich voneinander abwichen und auch dass sich die Aussagen der Zeugen untereinander widersprachen. Diese Widersprüchlichkeiten betreffen vor allem Details zum Ablauf des Einsatzes und der Festnahme.

Gegen das unten stehende Urteil wurde seitens der Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Die Berufungsverhandlung steht noch aus.

An der Verhandlung nehmen Teil:
Angeklagter („Nuru H.“), PoC
Richter (R), weiß
Staatsanwalt (StA) weiß, (Anm.: dieser Staatsanwalt wirkte auf die Prozessbeobachter_innen ungewöhnlich jung und unsicher. Während der Verhandlung blickt er auffällig häufig in den Zuschauer_innenraum). Es besteht die Vermutung, dass dies einer seiner ersten Fälle gewesen sein könnte)
Verteidigung des Angeklagten (VT), weiß
1. Zeuge (F), weiß, Polizeibeamter
2. Zeuge (K), weiß, Polizeibeamter
3. Zeuge (S), weiß, Polizeibeamter
4. Zeuge (I), weiß, Bildungsarbeiter
5. Zeuge (B), weiß, Student

Zuschauer_innen: Fünf Mitglieder der Prozessbeobachtungsgruppe sowie 2-3 Unterstützer_innen des 5. Zeugen. Alle weiß.

Verlauf der Verhandlung

Die Anklageschrift gegen Nuru H wegen „Widerstandshandlungen gegen Vollstreckungsbeamte“ wird verlesen, der Fall wird geschildert: Als am Görlitzer Park ein Schwerpunkteinsatz stattfand (aufgrund des „kriminellen und schwer belasteten Kiezes“), wurde Nuru H. von der Polizei festgenommen. Dabei sei er „ausfallend und aggressiv“ geworden. Nuru H. stellte Anzeige gegen die Polizeibeamten, diese ist vorläufig eingestellt worden, in diesem Verfahren wurde Widerspruch eingelegt.

VT verließt eine Erklärung zum Strafbefehl gegen Nuru H. Nuru H. habe auf einen Freund wartend an der Wiener Straße 51 gestanden, als Polizisten kamen, ihm zuriefen, er solle die Hände hoch halten. Dieser Aufforderung sei Nuru H nachgekommen.Die Polizisten legten ihm daraufhin Handschellen an. Er habe verbal protestiert, sei nicht nach Personalien gefragt, sondern über die Straße geführt und auf den Boden geworfen worden. Er sei durchsucht worden, die Handfesseln hätten geschmerzt und die Polizei habe zugelassen, dass die Presse ein Foto von ihm machen konnte, das später veröffentlicht wurde. In diesem Artikel sei Nuru H. als Drogendealer dargestellt worden. Sein Gesicht war lediglich durch einen schwarzen Balken unkenntlich gemacht worden (im Gegensatz zu den Gesichtern der Polizisten, die komplett verpixelt wurden). Nach ca. 2 Stunden sei Nuru H. wieder freigelassen worden.

Anhörung Zeuge F, 28 Jahre, Polizeibeamter: (Anm.: F. betritt in legerer Alltagskleidung den Gerichtssaal (keine Uniform), er wirkt gelassen und selbstsicher. Seine Ausführungen klingen flüssig, Es wirkt, als hätte er vorher gut vorbereitet, was er aussagen möchte.)

F wird belehrt nach § 55 StPO (Auskunftsverweigerungsrecht) und aufgefordert das geschehene zu schildern. F stellt leicht genervt fest, dass er dies nun schon zum dritten Mal erzählen soll (wörtl.: „okay, nun zum dritten Mal!“). Danach berichtet er, es habe einen Schwerpunkteinsatz (wegen „BTM-Kriminalität“) am Görlitzer Park gegeben. F sei in einer Vierergruppe auf einer der Beobachtungspositionen eingeteilt gewesen. Von dort aus habe er Personen aus dem Park rennen sehen. Nuru H. sei auch dort gewesen und ziemlich sicher aus dem Park gekommen. Jedoch konnte F nicht sicher sagen, ob Nuru H. sich in einer aus dem Park rennenden Gruppe oder sich einzeln dahinter befand. Aus F’s Position sei aber nicht 100 Prozent einsehbar gewesen, ob er wirklich von dort kam. Es wurde versucht, die rennenden Personen einzuholen, jedoch ohne Erfolg. Da sahen sie Nuru H. auf der gegenüberliegenden Straßenseite stehen und gingen zu ihm, da er als Beschuldigter in Betracht gekommen sei. Dem zugrunde liege eine Personenbeschreibung, die F nicht mehr wiedergeben könne, da es so viele an jedem Tag gegeben hätte. Für eine Gegenüberstellung habe er zum Fahrzeug mitkommen sollen. Er habe sich jedoch nicht beruhigen lassen, sie hätten einen Hinweis gegeben, dass sie ihm Handfesseln anlegen lassen müssten wenn er nicht ruhiger würde.

Bei seinem Bericht spricht F den Namen des Angeklagten ständig falsch aus, der ihn nach einiger Zeit aufgebracht darauf hinweist. F erwidert, dass er Nuru H. fortan nur noch „den Beschuldigten“ nennen wird, benutzt dann aber im Anschluss gleich wieder den falschen Namen. Nuru H. beschwert sich erneut. R bittet ihn um Ruhe und weist F darauf hin, er solle den Namen richtig sagen.

F fährt fort. Nuru H. habe sich nicht beruhigen lassen. Er habe dessen Arme auf den Rücken geführt, doch das sei bei dem wilden Gestikulieren schwer gewesen. Die Handfesseln habe er nicht allein anlegen können, sondern nur mit Hilfe von seinem Kollegen (Zeuge K) .Gemeinsam hätten sie ihn im Polizeigriff über die Straße und dort zu Boden geführt und als er ruhiger wurde, auf einen Zaun gesetzt.

F spricht in seiner Beschreibung der Fesselung Nuru H.’s Namen wieder mehrfach falsch aus. Nach mehrmaliger Wiederholung meldet sich Nuru H. zu Wort: „Herr Richter: ich heiße nicht [falscher Name]“. R (leicht gereizt) daraufhin zu F.: „ich bitte Sie auf den Namen zu achten“ Nuru H. zu F: „das ist respektlos, Sie könnten mein Sohn sein“. R mahnend zu Nuru H. „Herr H!“. Im Folgenden spricht F den Namen mindestens noch zwei mal falsch aus und wird vom Richter sanft verbessert.

Im folgenden wird der Zeuge gebeten zum Richterpult zu kommen und auf einem Stadtplan die genauen Positionen zu klären. Im weiteren Verlauf stehen deshalb F und VT am Richterpult mit dem Rücken zu den Zuschauer_innen und Nuru H. Letzterer stellt sich bald dazu, um das gezeigte mitverfolgen zu können.

R, StA und VT befragen den Zeugen. F kann sich an einiges nicht mehr erinnern, was er am ersten Verhandlungstag gesagt hatte.

VT stellt detaillierte Fragen zu den Positionen und der Geschwindigkeit der Personen, die aus dem Park kamen zu der Situation, als die Handfesseln angelegt wurden, ob nach einem Ausweis oder Personalien gefragt wurde, ob sie zu zweit auf Nuru H. gekniet hätten und ob es Gegenüberstellungen gegeben habe. F gibt an, sich an vieles nicht mehr erinnern zu können. VT fragt, wie die Personen beschrieben werden könnten, die aus dem Park gerannt seien. F sagt, genau wisse er das nicht mehr, außer dass sie schwarz gewesen seien. VT fragt nach den genauen Angaben, ob per Funk denn durchgegeben worden sei, „da kommen Schwarze Afrikaner aus dem Park“? F sagt, es seien Dunkelhäutige gewesen. VT: „War es denn so?“ F:“ Weiß ich nicht“. VT fragt ob denn tatsächlich eine Gegenüberstellung an dem Tag stattgefunden hätte. F meint, es müsste so gewesen sein (zumindest seien die offiziellen Vorschriften so). Dafür seien aber andere Kollegen zuständig gewesen.

VT weist durch Vorhalte auf mehrere Widersprüche zu F’s letzten Aussagen hin (vorangegangene Prozesstage). R wendet ein, dass der Zeuge F bereits Aussagen dazu gemacht hätte, ob Nuru H. in der ersten Gruppe aus dem Park lief oder einzeln oder in einer weiteren Gruppe dahinter. F verstrickt sich weiter in Widersprüche, als es um die Aussage geht, dass Nuru H aus dem Park gerannt sein soll. F spricht erst von „langsam laufen“, dann von „sich zügig entfernen“, auf Nachhaken seitens VT sagt F schließlich gereizt „ok, dann halt rennen“. Darauf hingewiesen, dass zwischen langsam laufen, zügig entfernen und rennen ein Unterschied bestehe, entgegnet F „jeder hat halt seine eigene Ausdrucksweise“ Weitere Widersprüche erklärt F u.a. mit dem zeitlichen Abstand zur letzten Aussage und damit, dass er mehrere Einsätze in zeitliche Nähe gehabt habe, da sei es schwer sich zu erinnern.
VT fragt nach den Umständen des „zu Boden Bringens“ F fängt an sich zu rechtfertigen F „das geschieht nicht aus heiterem Himmel […]. Das lernt man auch so. […] Das ist nicht brutal…Ich sag mal in Anführungsstrichen sanft […]. Wir stehen ja auch unter Stress, da war eine Personengruppe um uns herum, die versucht hat, verbal auf uns einzuwirken“ VT fragt, ob F auf Nuru H gekniet habe F: „ weiß nicht, man lernt polizeitechnisch [was man lernt, habe ich nicht mitbekommen. Wahrscheinlich, dass man sich nicht auf Leute kniet, weil es zu gefährlich ist. Anm. Protokollantin] aber an die konkrete Situation habe ich keine Erinnerung.“[Anm. F redet generell viel von dem, wie man etwas im Allgemeinen macht und was auf der Polizeischule gelernt wird; aber wenig zur konkreten Situation.

R wirkt während der Befragung des Zeugen durch die VT leicht gelangweilt.

Nuru H. flüstert seinem Anwalt etwas zu. R sagt, er könne auch Fragen stellen. Nuru H. nutzt dies und spricht laut und kräftig. Er fragt u.a. wer den Journalisten zu ihm geführt habe. Auch Nuru H weist auf Widersprüche zu vormaligen Aussagen F´s hin („jedes Mal [höre ich hier] eine neue Version“). Nachdem er seine Fragen gestellt hat, lässt er den Zeugen nicht ausreden, sondern unterbricht ihn. F weist darauf hin, ausreden zu wollen. R mahnt Nuru H., er solle den Zeugen ausreden lassen. R und Nuru H. reden gereizt gegeneinander an. VT pflichtet R bei, Nuru H. führt die Befragung fort. R äußert daraufhin, dass ihm nicht klar sei, wo Nuru H Informationen, die seinen Fragen implizit sind, konkret her habe. Nuru H redet weiter. R schreit ihn an: „Lassen Sie mich bitte ausreden. Ich erteile hier das Wort und kann es Ihnen auch entziehen!“- Nuru H.: “Dann stehe ich auf und gehe nach Hause“- R: „Gewöhnen Sie sich ab, andere zu unterbrechen!“. Nuru H. fragt weiter, R. weist darauf hin, dass der Zeuge diese Frage schon beantwortet hat und F nichts dazu sagen kann. In dieser Auseinandersetzung zeigt VT keine Regung und mischt sich nicht ein. Erst spät bittet er um eine kurze Pause, die gewährt wird.

Um 13:33 h geht es weiter.

VT hat einen weiteren Vorhalt, dann fragt Nuru H wieder. Er redet, wobei aber nicht ersichtlich wird, welche konkrete Frage er an den Zeugen hat. R fragt: „Ihre Frage jetzt?“. Nuru H erregt sich: er sei kein Kind mehr, der Zeuge könne sein Sohn sein. VT hält ihn am Arm und sagt „Ist doch gut“ und fragt nun selber weiter. Ob F sich auf den Termin vorbereitet habe. Nein, sagt dieser, nur am ersten Termin habe er sich gemeinsam mit dem Kollegen inhaltlich erinnert, danach habe er lediglich privaten Kontakt gepflegt.

Es kommt heraus, das er gar nicht wusste (zumindest behauptet F das), dass auch gegen ihn Anzeige erstattet worden war (demnach hätte er gar nicht aussagen müssen, da er sich selbst hätte belasten können). Nuru H ruft nun wieder dazwischen (spricht u.a. vom „selektiver Justiz“ erinnert an den 70. Jahrestag der Auschwitz-Befreiung und das es damals auch selektive Justiz gegeben habe). Dadurch, dass er nicht wartet, bis ihm von R das Wort erteilt wird, durchbricht er erneut die vom juristischen System festgelegte Hierarchie. R droht, unterbrechen zu müssen.

Nuru H fragt, ob bei der Razzia auch Weiße durchsucht worden seien oder ob sich die Polizei nur die Dunkelhäutigen herausgepickt hätten. F antwortet das wäre das „übliche Klischee“, was ihnen immer unterstellt werde, der Görly sei nun mal ein Kriminalitätsbelasteter Ort. „Wenn dort nur Dunkelhäutige wahrgenommen werden, dann nehmen wir eben nur dunkelhäutige Personen fest“ da diese vor allem „[mit Drogen] handeln“ würden. „wenn sich das irgendwann ändert und Hellhäutige handeln, dann nehmen wir auch Hellhäutige fest […] das [die Vorschrift zur Vorgehensweise] kommt von ganz Oben“. Nuru H fragt, wie „normale Bürger wissen sollen, dass es ein gefährlicher Ort ist?“. F antwortet darauf, dass dies ein „kriminalitäsbelastender Ort“ sei und er dies auch so sagen dürfe, „da es in den Medien genannt wurde“. Nuru H führt fort: „Wie soll man wissen, dass Menschen dort einfach so festgenommen werden dürfen?“. R wirft ein, dass dies alles vielleicht weit weg vom hier verhandelten Tatbestand führe.

Zum Ende hat F noch ein Anliegen: Er bittet, dass Nuru H ihn und die weiteren Zeugen im Vorraum beim Warten nicht mehr andauernd ansprechen solle. Nuru H. regt sich auf, dass das nicht stimme, spricht Zuschauer_innen an, dass sie dies bezeugen sollten. Als keine Reaktionen kommen, bittet er darum, nach Hause gehen zu können, er würde es nicht mehr ertragen. VT sagt wenig. (Anm.: Im Wartesaal saß Nuru H vor dem Prozess bei vier Aktivist_innen der Prozessbeobachtungsgruppe und unterhielt sich mit ihnen, erzählte, dass es ihm nicht gut gehe, er Schmerzen habe und ihn der ganze Prozess sehr mitnehme. Er weinte. Nur kurz ging er weg. Angesichts dieses kurzen Zeitfensters scheint uns [den Protokollantinnen] wenig wahrscheinlich, dass er die Polizeibeamten überhaupt angesprochen haben kann).

Erneute Unterbrechung, in der Nuru H. noch mit den im Wartesaal wartenden Zuschauer_innen spricht und sie bittet, zu bezeugen, dass er die Polizisten nicht angesprochen hat. (Nach kurzer Beratung rät VT davon ab, da wegen des Zeitfensters, in dem keine Aktivist_in mit Nuru H zusammen war, dies kein hinlänglicher Beweis sei.) Dann geht er, mit VT abgesprochen, nach Hause.

Fortsetzung 14:07 h.

R gibt zu Protokoll, dass VT nun mit seiner Vollmacht Nuru H. vertrete.

Anhörung Zeuge K, 25 Jahre, Polizeibeamter: (Anm.: K erscheint in voller Polizeiuniform, mit Schutzweste, Schusswaffe und Handschellen. Auch er wirkt ruhig und selbstbewusst)
K wird durch R nach § 55 StPO belehrt (Auskunfsverweigerungsrecht). K erzählt, es habe einen Großeinsatz im Park gegeben. Mit F und zwei weiteren Kolleg_innen sei er in der Glogauer Straße gewesen, als eine Gruppe zur Liebnitzer Straße gerannt sei. K sei erst hinterher gerannt, habe die Verfolgung aber dann abgebrochen, da er sein Funkgerät verloren hatte. Nuru H habe sich auffallend verhalten (Anm.: allerdings gibt K – abweichend zur Aussage von F – an, Nuru H hätte am Straßenrand gestanden) und sei körperlich überlegen gewesen. Sie hätten beruhigend auf ihn eingewirkt, als sie auf der Wiener Straße den Sachverhalt und die Personalien hätten klären wollen. Er habe sich aber gewunden, sodass sie ihn hätten zu Boden bringen müssen. Es habe sich eine Menschentraube gebildet. Nuru H habe sich langsam beruhigt, sodass sie ihn zum Bearbeiter hätten bringen können. Die Personalien hätten ergeben, dass mit Nuru H alles in Ordnung gewesen sei.

K stellt fest, dass an der Glogauer Straße vier Polizist_innen gewesen seien. R [im Bezug auf die letzten Verhandlungen].:„Und das wissen Sie jetzt erst seit diesem Termin!?“. K. sagt, er sei zuvor nicht danach gefragt worden (ignorierend, dass er als Zeuge auch dazu verpflichtet ist, Dinge nicht auszulassen). R fragt bis zu welchen Zeitpunkt sie zu viert gewesen seien. K (launisch) „na, bis wir uns getrennt haben“, danach gibt er an, sie seien bis „ca. Lausitzer Str.“ zu viert gewesen. R hakt nach, ob Nuru H. stand oder sich bewegte. K: „da will ich nicht spekulieren“

K wird nach Details zum Ablauf der Verhaftung gefragt. Auch K spricht viel von „allgemeinen Maßnahmen, die man so trifft“: Aufforderung Hände hoch, nach dem Ausweis fragen, Belehren. Er sagt dann, dass er deshalb auch davon ausgehe, das sie auch in diesem Einsatz so gehandelt hätten. VT darauf hin: „Sie geben nur eine Beschreibung was üblich ist, haben Sie keine konkrete Erinnerung?“ dies bejaht K: auf Nachhaken von VT gibt K zu, dass zeitweise zwei Personen auf Nuru H. gekniet hätten. VT weist darauf hin, dass bei der letzten Vernehmung K auf die Frage, ob auf N gekniet worden sei, zunächst allgemein erklärt habe, das man das nicht mache, dann jedoch auf Vorhalt hin zugegeben habe, dass doch zwei Personen auf Nuru H gekniet hätten. R bestätigt, dass K sich in der letzten Verhandlung erst nach Vorhalt an das Knien erinnern konnte.

VT erkundigt sich ob Gegenüberstellungen durchgeführt wurden und wer dafür Zuständig war. K. „[ich] war praktisch noch bei keiner dabei“. K könne dazu nichts sagen.

Anhörung Zeuge S, 25 Jahre, Polizeibeamter: (Anm.: Er erscheint in zivil, gibt sich entspannt und unbeteiligt)

S wird als Zeuge nach § 153 StGB (Strafbarkeit von falschen Aussagen) belehrt. S gibt an, sich „zur Zeit der Widerstandshandlung“, zwei Straßen weiter befunden zu haben. VT wirft daraufhin ein, dass noch zu klären sei, ob es eine Widerstandshandlung überhaupt gegeben habe.

S gibt weiterhin an, keine eigene Wahrnehmung zum Sachverhalt gehabt zu haben. Er hätte eine Anzeige aufgenommen (Anm. Vermutlich die gegen Nuru H). Zu seiner Aufgabe in der Maßnahme gefragt, gibt er sich kryptisch („wie sag ich dit jetzt?“). Er begründet dies damit, dass er keine Interna zu polizeilichen Taktiken preisgeben dürfe. Bei allen Nachfragen, versucht S möglichst deutlich zu machen, dass er vom Vorfall gar nichts mitbekommen haben kann, er hätte sich schon Glogauer/Reichenberger von den andern beiden Kollegen getrennt. Er wirkt bei seinen Antworten leicht überheblich bzw. genervt.

Auf die Frage von VT hin, ob S etwas gelesen habe, um sich auf die Verhandlung vorzubereiten, antwortet S: „sicherlich habe ich was gelesen. Aber nix, was mit der Verhandlung zu tun hat“. VT (ärgerlich) „das ist eine selten [Pause] schlaue Antwort. Wir können hier natürlich Spielchen spielen“. VT fragt dann, ob er mit seinen Kollegen gesprochen habe allgemein und vor dem Gerichtsaal. Beides verneint S (Anm. vor und während der Verhandlung sowie in den Pausen saßen die drei Polizei-Zeugen die ganze Zeit beieinander und sprachen auch miteinander. Sie machten im Wartebereich keinerlei Anstalten, dies zu verbergen.)

VT fragt: „wie kam es, dass Sie die Anzeige aufgenommen haben“ S: „Herr [Zeuge F] kam auf mich zu“. V fragt ob er die Anzeige auch aufnehmen würde, wenn er potentieller Zeuge ist. S erwidert: „würde ich persönlich nicht machen“.

Anhörung Zeuge I, 37, Bildungsarbeiter: (Anm: wirkt ruhig und sachlich)

Wird als Zeuge nach § 153 StGB belehrt. I erzählt, er sei auf der Glogauer/ Wiener Straße mit dem Fahrrad gefahren, als er zwei kräftige Personen (Polizisten) Richtung Görlitzer Park habe rennen sehen. Er sei abgestiegen und habe das folgende Geschehen beobachtet. Die Polizisten seien kurz darauf aus der Puste und frustriert zurückgekommen. Nuru H habe, wie er selbst, in der Nähe gestanden und zugeschaut. I habe den Blick einer der frustrierten Polizisten beobachtet. Dieser sei an ihm vorbei und an Nuru H. hängen geblieben. Er habe aggressiv „Hände hoch!“ geschrien, was Nuru H. sofort befolgt habe. Sie hätten schnell Handschellen angelegt. Nuru H. habe empört protestiert, was I durchaus verständlich gefunden habe. Die Polizisten hätten rabiat mit Nuru H. gesprochen und ihn angefahren. I berichtet von dem Rest des Vorgangs und beantwortet die Fragen klar und sachlich. VT führt ein Gedächtnisprotokoll von ihm ein und macht deutlich, dass sie vorher nicht in Kontakt gestanden hätten.
R fragt, wie es dazu gekommen sei, dass I sich als Zeuge gemeldet habe. I antwortet, er sei vor Ort von Menschen angesprochen worden, die Ihn gebeten hätten, sich als Zeuge zur Verfügung zu stellen. Auch seien die Razzien und wie mit den Menschen dabei umgegangen wird, im Kiez ein viel diskutiertes Thema.

Es folgt eine Pause.

B (der nächster Zeuge ist und demnach bisher draußen gewartet hatte) kommt zu den Aktivist_innen aus der Prozessbeobachtungsgruppe, die vor dem Saal beieinander stehen und erzählt ihnen, dass die Polizisten, die als Zeugen vernommen werden, sich draußen die ganze Zeit abgesprochen, miteinander geredet und sich Nachrichten geschickt hätten.

Fortsetzung 15:25 h.

F. wird als Zeuge entlassen und setzt sich in den Zuschauer_innenraum.

Anhörung Zeuge B, 22 Jahre, Student:

B wird ebenso als Zeuge nach § 153 StGB belehrt. B. beobachtete, wie Nuru H. aus dem Polizeiauto gelassen wurde. Nuru H. habe mit den Polizisten diskutiert, habe wissen wollen, was los sei, warum er festgenommen worden sei. B. habe ihn daraufhin angesprochen und ihm die Nummer von ReachOut [Anm: Berliner Beratungsstelle u.a. für Opfer rassistischer Gewalt] gegeben. Auffallend sei gewesen, dass Nuru H. keinen Platzverweis erhalten habe im Gegensatz zu allen anderen dort.

Ein weiterer Zeuge wird aufgerufen. Dieser ist aber nicht erschienen, was R. schon vermutet hatte.

R. meint, dass von ihm aus die Beweisaufnahme geschlossen werden könnte. VT fragt, ob er das als positives Zeichen sehen dürfte, was R mit Kopfnicken bejaht, „Dürfen Sie.“. Daraufhin stimmt VT zu.
Nach Aufforderung ergreift StA das Wort (Anm.: er wirkt recht aufgeregt und nervös): Seiner Meinung nach habe sich der Tatverdacht wohl nicht bestätigt. Vieles sei unklar und widersprüchlich geblieben, was die Positionen, die Widerstandshandlung und die Aufnahme der Personalien betreffe. Daher gehe er davon aus, dass der Vorwurf nicht bewiesen sei und beantrage Freispruch.

VT schließt sich ihm an. Der Grundfehler sei gewesen, so sagt er, dass Polizisten gedacht hätten, Nuru H. wäre aus dem Park gekommen, sodass sie ihn sofort gepackt und in Handschellen gelegt hätten. Er hebt hervor, dass der Zeuge I sehr glaubwürdig gewesen sei. Die Beamten seien nicht rechtmäßig vorgegangen (wörtlich: „es ist etwas geschehen, was nicht passieren sollte“), deshalb sei Nuru H. freizusprechen.

R. zieht sich zurück. In dieser Zeit wendet sich der StA an VT: Er wolle anmerken, dass die Polizisten seiner Meinung nicht unbedingt etwas falsch gemacht hätten, wegen der vielen Widersprüche habe sich der Verdacht nur nicht bestätigt. Damit für etwaige zukünftige Verfahren kein falscher Eindruck entstehe. VT entgegnet („Ihre Meinung in Ehren“), dass es um den Umgang gehe und er fände, es sei klar geworden, dass mit den Polizeibeamten im Einsatz etwas schief gelaufen sei.

Das Urteil
Der Angeklagte wird freigesprochen. Teil der Begründung ist, dass nicht hätte geklärt werden können, ob Nuru H. aus dem Park gekommen sei oder bereits an der Ecke stand und auf einen Freund gewartet habe. F habe als einziger Zeuge berichtet, dass Nuru H. aus dem Park gelaufen sei. F und K hätten widersprüchliche Aussagen bezüglich der Standorte der einzelnen Personen gemacht. Zeuge I habe nicht den Eindruck erweckt, bewusst Angaben zugunsten des Angeklagten zu machen. Seine Ausführungen wirkten äußerst glaubwürdig.
In R’s Ansprache fallen Wörter wie „dunkelhäutige Person“, „Schwarzafrikaner“, „tief dunkelhäutig“. Er unterstelle den Polizisten kein böswilliges Handeln, vielmehr betont er, F habe „eins und eins zusammengezählt“ und so habe sich die Vorstellung durchgesetzt, Nuru H. sei aus dem Park gekommen und gehöre zu der beobachteten Gruppe. Dieser sei nicht gerannt, was ein Indiz sei für sein Gefühl der Unschuld. Er macht eine Äußerung bezüglich Nuru H`s emotionalen Ausbruch im Gericht, sagt dass man sich auf Grund seines gezeigten „Temperaments“ gut vorstellen könne, dass er auch während der Verhaftung laut geworden sein dürfte. Dies allein stelle aber keinen Tatbestand dar.Da die Verhaftung außerhalb des Parks und damit nicht unmittelbar an einem „gefährlichen Ort“ stattgefunden habe, habe es keine Rechtsgrundlage gegeben, Nuru H. zum Bearbeitungsfahrzeug zu bringen. Aufgrund der rechtswidrigen Maßnahme könne es keine Verurteilung wegen Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geben.

Der Prozess endet um ca. 16 h.

Anmerkungen
→ Wären wir als 5 ProBeos nicht vor Ort gewesen, plus der drei jungen Frauen die aufgrund eines Zeugen da waren, hätte es keine weiteren Zuschauenden gegeben. R. als auch StA guckten öfters zu den Zuschauenden, auch den Zeugen muss die Präsenz bewusst gewesen sein. Wäre der Prozess sonst anders Verlaufen (andere Verhaltensweisen, Formulierungen, gar Urteil)?
→ R. wurde zwar ab und an laut Nuru H. gegenüber, aber wohl aufgrund dessen Art, die Fragen zu stellen und andere nicht sprechen zu lassen. Danach verhielt er sich wieder ruhiger und zu keinem Zeitpunkt respektlos (auch nicht angesichts er Ausbrüche Nuru H’s). Zu keinem Zeitpunkt ließ R sich anmerken, dass er die Aussagen der Polizisten in Frage stellte (durch Bemerkungen etc.), obwohl sie so offensichtlich logen. So verhielt er sich insgesamt allgemein respektvoll gegenüber allen, kritisierte aber nicht die Polizisten und ließ ihnen so den Raum ihrer (teilweise gelogenen) Erzählungen. Entweder bemerkte er dies still oder es hatte letzten Endes keinen Einfluss auf das Urteil.
→ Auch wurde hier die Neigung von polizeilichen Zeug_innen deutlich, dass sie meinen (oder zumindest erzählen), das, was Vorschrift sein sollte, getan zu haben. VT war sich dessen bewusst, als er in diesem Fall nach der Kontrolle des Ausweises fragte: „Das, was üblich ist oder in der konkreten Situation?“

Eine Druckversion (pdf) des Protokolls gibt es hier.