Beobachtungen zum Prozess am 02.09.2014
Vorfall (Quelle: Pressemitteilung von KOP):
LG sieht am Morgen des 02.09.2013 in der Nähe des Görlitzer Parks, wie ein Schwarzer Mann von zwei weißen Männern verfolgt wird. Die beiden wollen ihn schlagen, der Schwarze Mann versucht, die Schläge abzuwehren. Mehrere Menschen mischen sich ein und rufen: „Hört auf! Das geht nicht…!“
LG geht dazwischen und bemüht sich, die Männer zu trennen, doch ohne Erfolg. Immer wieder versuchen die beiden Angreifer, den Schwarzen Mann zu treten und zu schlagen. Beide Angreifer strömen einen starken Alkoholgeruch aus. LG will den Schwarzen Mann und dann auch sich vor den Angreifern schützen, denn diese gehen nun auch auf ihn los. Nach einer Weile gelingt es, dem zuerst angegriffenen Mann zu fliehen.
Mehrere Zeug_innen rufen LG zu, dass sie die Polizei alarmieren werden. Plötzlich zückt einer der Angreifer eine Polizeimarke und sagt: „Wir sind Polizisten!“. LG ist völlig schockiert. Er kann nicht glauben, dass die betrunkenen Männer Polizeibeamte sind. Die Schläge hören nicht auf. Einer der Angreifer will ihn verhaften. Erst als die Sirene eines Einsatzwagens zu hören ist, stoppen die Männer endlich. Vier Beamte kommen auf die Szene zu. Zwei Polizisten nehmen LG beiseite und kontrollieren seinen Ausweis, obwohl die Zeugen sofort rufen: „Nicht er! Er wollte nur dazwischen gehen!“. LG wird keine einzige Frage zum Vorfall/Ablauf gestellt. Als eine Polizistin den Ausweis von LG mit einer „deutschen Staatsangehörigkeit“ sieht, überprüft sie das bei der Zentrale. Im Vorbeigehen hört er noch, wie einer der Angreifer seinem Kollegen erzählt, er hätte sich mehrmals als Polizist zu erkennen gegeben. Als er das richtig stellen möchte, wird er weiter gezogen.
Die beiden angeklagten Polizeibeamten äußern sich selbst nicht, ihre Anwälte verlesen jeweils eine Erklärung.
Angeklagter T., weiß
Der Angeklagte T. habe mit seinem Kollegen P. am 1.9.13 eine Kneipentour gemacht, wobei sie „reichlich Bier und Schnaps“ getrunken hätten.
Eine Gruppe von „Schwarzafrikanern“ habe den Polizeibeamten Marihuana angeboten, woraufhin beide versuchte hätten, die entsprechende Person zu stellen bzw. sie festzunehmen. P. Sei zuerst losgerannt. Daraus habe sich eine Schlägerei entwickelt. Die beiden Polizeibeamten hätten versucht, die Flucht des „Schwarzafrikaners“ zu verhindern, P. habe immer wieder gegen die Füße des Mannes getreten, damit dieser zu Boden ginge. Es hätten sich immer mehr „Schwarzafrikaner“ um sie herum versammelt, wobei einer von ihnen T. zurückgezogen habe. T. habe daraufhin „sinngemäß gerufen, dass wir Polizei sind, nicht um uns in den Dienst zu versetzen, sondern damit die von uns abließen.“ Er habe dann auch seine Dienstmarke vorgezeigt.
T. lässt über seinen Anwalt eine Entschuldigung verlesen. Dass es zu dieser Situation gekommen sei, in der Unschuldige angegriffen und verletzt wurden, könne er sich nur damit erklären, dass er zum Zeitpunkt des Vorfalls bereits 24 Stunden nicht mehr geschlafen habe und zudem stark alkoholisiert gewesen sei. Die Entschuldigung beinhaltet allerdings den Zusatz, dass auch T. „erhebliche Verletzungen“ davon getragen habe.
Angeklagter P., weiß
Der Angeklagte P. Schildet das Geschehen vom Tattag ähnlich wie sein Kollege T. Allerdings habe er sich zu keiner Zeit als Polizist zu erkennen gegeben.
Seine „einzige Intention“ sei gewesen, „den Drogendealer festzuhalten“ und der Polizei zu übergeben.
Zeuge M., 36 Jahre, selbstständig, weiß
– hat beobachtet, dass zwei weiße Männer eine schwarze Person verfolgen und angreifen; hat daraufhin versucht, einzugreifen/ Kontakt aufzunehmen
– T. und P. hätten den Schwarzen Mann an die Wand gestellt, T hätte ihn festgehalten und P. ihm immer wieder gegen das Knie getreten
– einer der Männer hat ihm daraufhin eine Dienstmarke gezeigt und gesagt, er solle sich nicht einmischen, das sei ein Polizeieinsatz – das kam ihm aber komisch vor, weil er merkte, dass T. und P. stark alkoholisiert waren
– M. erklärt weiterhin, dass er einen Tag später einen Bericht in der BZ über „Drogendealer festgenommen, verletzte Polizisten“ gelesen hätte. Das Geschehen vom Tattag sei darin komplett anders geschildert worden, als er es miterlebt hatte. Auf Nachfragen habe die BZ erklärt, die Informationen aus einer Polizeimeldung zu haben
Zeuge LG, 34 Jahre, selbstständig auf Baustelle tätig, PoC, Zeuge LG ist auch Nebenkläger in diesem Prozess
– beschreibt, dass er, nachdem weitere uniformierte Polizist_innen eingetroffen waren, sie zuerst ihn verhaften wollten. Zeug_innen schritten allerdings ein und erklärten, dass LG nichts gemacht, sondern nur geholfen habe. Daraufhin wurde er aufgefordert, sich auszuweisen. Die Polizistin, die ihn kontrollierte, sei ungläubig gewesen, als er seinen deutschen Ausweis zeigte. Sie habe mehrmals zwischen seinem Gesicht und dem Bild auf dem Ausweis hin- und hergeschaut und schließlich einen Kontrollanruf getätigt. „so als wäre es unmöglich, dass ich einen deutschen Ausweis habe“ Diese Schilderung wird von der Richterin unterbrochen: das habe schließlich nichts mit dem eigentlichen Geschehen zu tun.
– gibt an, dass er keine körperlichen Verletzungen gehabt habe, aber „ich musste das bearbeiten“
Nachfragen des RA von T.: „Ist das mal im Kiez bei Ihnen erörtert worden?“ (hier ging es meiner Erinnerung nach um die Frage, ob „Drogendealer“ in die Auseinandersetzung involviert waren, so wie es im BZ-Artikel stand)
„Sind Sie da häufiger in der Gegend?“
„Das ist ein Drogenumschlagsplatz.“ – hierauf sagt eine Person von der Zuschauerbank, das sei aber kein Grund, Menschen zu jagen. Daraufhin wird sie von der Richterin ermahnt, ebenso wie eine weitere Person, die offenbar mit ihrem Handy gespielt hatte.
– Der Verteidiger des P. erklärt noch einmal nach seiner Befragung, dass es P. Leid tue, er habe seinem Kollegen nur helfen wollen und hätte die Situation nicht richtig einschätzen können.
Zeuge S., 42 Jahre, Ausstellungs-…, weiß
– Interpretiert das Verhalten von T. und P. so, dass sie sich einen Spaß daraus gemacht hätten, eine andere Person (ersten Schwarzen Mann, den sie verfolgten) zu erschrecken –> „Buh“, „Uh“, „Ah“
– Hatte den Eindruck, dass LG die Polizisten und den Schwarzen Mann auseinander bringen wollte, er sei nicht aggressiv gewesen.
– betont, dass nach Eintreffen der uniformierten Polizist_innen zunächst die schwarze Person „gesichert“ worden sei, nicht aber die betrunkenen Polizisten.
– S. beteiligte sich an einem offenen Brief, um richtigzustellen, was tatsächlich passierte und als eine Gegendarstellung zum BZ-Artikel, indem es hieß, dass die Auseinandersetzung von einem Schwarzen ausging.
– S. sei von der ganzen Situation sehr schockiert gewesen, dann noch mehr, als er erfuhr, dass es sich um Polizisten handelte.
– sagt, dass die betrunkenen Polizisten die Gegend unsicher gemacht hätten, äußerst diese Bedenken, weil er mit seinem Baby unterwegs war und an zukünftige Situationen denkt. Hierauf erwidert der RA von P (ironisch): „die Gegend sonst ist sicher?“
Zeuge Sch., Musiker aus Heidelberg (Orchester), weiß
– Initiator des offenen Briefs, welchen er auch auf seiner privaten Website veröffentlicht habe, daraufhin habe sich das LKA bei ihm gemeldet.
– ist entsetzt über das Verhalten der Polizisten, welche einen „Afrikaner“ verfolgten und dabei „uuhh“ und „aahh“ Geräusche gemacht und „Hau ab du Penner“ gerufen hätten, so als wollten sie jemanden erschrecken: „aber so verhaftet man doch niemanden, egal welcher Hautfarbe“
nach dem Geschehen habe er gehört, wie LG. einem anderen erzählt habe, dass er jetzt wahrscheinlich noch eine Anzeige bekomme. Sch. fand die bewiesene Zivilcourage des LG gut, er selbst hätte sich nicht eingemischt, auch wegen der Hunde, die er dabei hatte, deshalb habe er LG seine Telefonnummer gegeben, weil er sich als Zeuge bereitstellen wollte
Zeugin M, 31 Jahre, Erzieherin, PoC
– Stand vor ihrer Arbeitsstelle, eine deutsch-französische Kita, und beobachtete das Geschehen. M. rief auch, dass die Beteiligten aufhören sollten, da dort eine Kita sei.
– M. rief die Polizei und gab dort ihre erste Einschätzung durch das Telefon: Streit zwischen Käufer und Dealer. M. erklärt, dass sie aufgrund „der Situation im Görlitzer Park“ diese Vermutung hatte.
– Auch sie beteiligte sich am offenen Brief, da sie es nicht in Ordnung fand, „dass etwas Falsches geschrieben wurde“.
– M. erklärt, sie habe eine Weile gebraucht, bis sie damit zurechtkam, dass so etwas gewalttätiges passieren konnte.
Der Verteidiger des P. reicht eine Kopie der Erste-Hilfe-Bescheinigung von P. ein.
Eine zu diesem Verhandlungstermin geladene Zeugin konnte wegen Krankheit nicht erscheinen, die Richterin sieht es allerdings als notwendig an, diese noch zu hören. Des Weiteren beantragt die Nebenklagevertreterin, dass noch zwei weitere Zeugen vorgeladen werden. Es geht um uniformierte Polizeibeamte, die zum Geschehen gerufen wurden. Die Hauptverhandlung wird deshalb unterbrochen und am 23.09.2014, 12:30 Uhr fortgesetzt.
Im 2. Teil der Verhandlung konnten wir leider nicht protokollieren, da keine es in den Saal schaffte. Es war einige Tage vorher über mehrere “linke”/”alternative” Medien dazu aufgerufen worden den Prozess zu beobachten und es waren ca. 60 Personen zu Unterstützung von LG gekommen. Allerdings waren auch ca. 20 Polizeibeamt_innen (vorwiegend männlich) gekommen, die sich kurz vor Einlass äußerst aggressiv nach vorne drängelten und um die Tür herum eine Mauer bildeten. Die vor der Tür positionierten Sicherheitsbeamten der Justiz ließen dieses Verhalten zu ohne auf die aufgebrachten Rufe und die Empörung derjenigen zu reagieren, die teilweise seit einer Stunde vor der Tür wartenden Menschen. Als die Tür dann geöffnet wurde, schubsten die Beamt_innen sich dann so brutal rein, dass einige gegen die geöffneten Türen und Wände gedrückt wurden oder durch das Schubsen der Beamt_innen Prellungen zuzogen. Als nicht aller Unterstützer_innen unverzüglich das Gericht verließen, als klar wurde, dass sie vorerst nicht dem Prozess zuschauen konnten, kamen ca. 40 weitere Sicherheitsbeamten der Justiz in den Gang vor den Saal und bildeten eine Mauer um die Unterstützer_innen. Erst als wir versucht hatten uns bei verschiedenen Stellen im Gericht über den Zugang/Einlass zum Verfahren zu beschweren und dies offenbar nirgends möglich war, verstreute sich die Ansammlung an Menschen und viele gingen.
Im Gerichtssaal verbot die Richterin den wenigen anwesenden kritischen Beobachter_innen das Protokollieren, sodass es nur einige (unkritische) Pressemitteilungen gibt.
Die Anwältin der Nebenklage verzichtete darauf, einen Wechsel in einen größeren Raum zu beantragen, da dann der Prozess auf einen anderen Termin hätte verlegt werden müssen. Wegen der Frist von 3 Wochen in der die Verhandlung fortgesetzt werden muss, hätten sonst Zeug_innen neu verhört werden müssen.
Die beiden Angeklagten wurden zu einer Geldstrafe von jeweils 7.500 Euro verurteilt. Die Richterin sah es als erwiesen an, dass sich die beiden Männer der gefährlichen Körperverletzung im Amt schuldig gemacht hatten. Der Staatsanwalt hatte elfmonatige Haftstrafen auf Bewährung gefordert. Strafmildernd wirkte sich aus, dass die Beamten stark alkoholisiert waren. Gegen die Polizisten ist außerdem ein Disziplinarverfahren eingeleitet worden.
Eine Druckversion (pdf) des Protokolls gibt es hier.