Prozessprotokoll “Verstoß gegen BTM-Gesetz, Widerstand und Körperverletzung”

Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung im Görlitzer Park

Zeit: 03.11.2015, 9:00 bis ca. 15:30 Uhr
Ort: Amtsgericht Tiergarten, Raum 101, Sicherheitsbereich

Anwesend:
R – Richter (weiß)
StA – Staatsanwältin (weiß)
Protokollantin (weiß)
A – Angeklagter (PoC)
Dolmetscher (PoC)
V – Verteidiger RA Schneider (weiß)
15 Zeug_innen, 13 davon Polizist_innen (mehrheitlich weiß)
Zahlreiche Prozessbeobachter_innen

Besonderheiten

  • Aufgrund eines Aufrufs zur Prozessbeobachtung, der am 31.10.15 unter linksunten.indymedia.org veröffentlicht wurde, wurde die Verhandlung kurzfristig in den Sicherheitsbereich des AG Tiergarten verlegt, an dessen Eingang akribische Sicherheitskontrollen stattfinden.
  • Der Angeklagte befand sich seit dem 07.08.15 in Untersuchungshaft.
  • Mehrere Polizeibeamt_innen blieben bis zum Ende der Verhandlung, um den weiteren Verlauf bzw. den Ausgang des Verfahrens als Zuschauer_innen zu verfolgen.

Anklage/Gegenstand des Verfahrens
Aufgrund der langwierigen Eingangskontrollen kamen viele Prozessbeobachter_innen erst verspätet in den Verhandlungssaal, als die Anklageschrift bereits verlesen war und der erste Zeuge angehört wurde.

Aus dem weiteren Verlauf der Verhandlung lassen sich zur Anklage folgende Informationen rekonstruieren: dem Angeklagten wird vorgeworfen, am 26.04.15 mit Betäubungsmitteln (BTM) gehandelt zu haben, am 29.06.15 gemeinschaftlich BTM verkauft zu haben sowie am 06.08.15 mit BTM gehandelt zu haben, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte geleistet zu haben und einen Polizeibeamten am Ringfinger mit einem Schlag verletzt zu haben (Körperverletzung). Die Vorfälle sollen im Görlitzer Park in Kreuzberg stattgefunden haben.

Verlauf der Verhandlung
Es werden zunächst mehrere Polizeibeamt_innen als Zeug_innen gehört, die Beobachtungen zu dem Vorfall am 29.06.15 schildern.
Der erste Zeuge (Z1), Polizeibeamter, war an der Überprüfung des A am 29.06.15 beteiligt. Er erklärt, A habe lautstarke Äußerungen in einer ihm unverständlichen Sprache gemacht, was er als aggressives Verhalten interpretiert habe.

Die zweite Zeugin (Z2), Polizeibeamtin, gibt an, sie habe den A über einen Monitor beim Handel mit BTM beobachtet. Bei der Durchsuchung des A sei sie nicht dabei gewesen, sie wisse aber, dass bei ihm Geld und BTM aufgefunden worden seien. Der Beschuldigte habe sich mit einem ihr bekannten Drogenhändler getroffen: „Die kaufen ja auch die Drogen voneinander.“
In der Befragung möchte der Verteidiger (V) wissen, wen sie mit „die“ gemeint habe. Z2 sagt, sie meine damit die Drogenhändler. Das könne sie „aus ihrer Berufserfahrung sagen“, wer Drogenhändler sei. V fragt, ob sie die Unschuldsvermutung kenne, da wir ja gerade erst hier säßen, um festzustellen, ob A Drogenhändler sei.
Auf die Frage, wie groß der Monitor sei, antwortet Z2 in genervtem Tonfall, dieser sei „normalgroß“. Erst auf erneute Nachfrage präzisiert sie, es handele sich um einen 15 oder 17 Zoll Monitor. V versucht herauszufinden, ob sich anhand der Aufnahme überhaupt erkennen ließ, was A und der Z2 bekannte (mutmaßliche) Drogenhändler ausgetauscht haben bzw. ob es sich dabei erkennbar um „BTM-suspekte Substanzen“ handelte, Z2 macht jedoch nur widerwillig Angaben zur Größe der Personen auf dem Monitor sowie zur Auflösung der Aufnahmen.
Später zitiert V aus der schriftlichen zeugenschaftlichen Äußerung von Z2: „Hier kam es vermutlich zu einer Hand zu Hand Übergabe, die ich aber nicht sehen konnte.“ Daraufhin sei die Überprüfung des A veranlasst worden. V will wissen, wie sie dazu komme, so etwas zu sagen. Sie habe etwas nicht gesehen, habe dann aber veranlasst, A zu überprüfen, weil das „eine typische Handlung“ sei. Nun springt der Richter Z2 zur Seite: es habe ja eine Handlung davor gegeben, die die Zeugin geschildert habe.

Der dritte Zeuge (Z3), Polizeibeamter, gibt an, er habe die Personenabfrage beim Ausländerzentralregister (AZR) gemacht, habe aber mit dem A selbst nicht interagiert. Daraufhin wird er wieder aus dem Zeugenstand entlassen.

10:00 Uhr
Die zu 10 Uhr geladenen Zeug_innen werden hereingebeten und belehrt. Anschließend wird die Verhandlung für fünf Minuten unterbrochen.

Als die Verhandlung fortgesetzt wird, wird der 4. Zeuge (Z4), Polizeibeamter, in den Zeugenstand gerufen. Er hat einen mutmaßlichen Drogenhändler durchsucht, allerdings nicht den hier Angeklagten. Dabei hat er 95 Euro „mutmaßlichen Handelserlös“ und ein Handy, jedoch keine BTM gefunden. Anschließend hat Z4 einen mutmaßlichen Erwerber kontrolliert und bei ihm BTM gefunden.

Danach kommt der 5. Zeuge (Z5), Polizeibeamter, in den Zeugenstand. Er hat bei dem A „BTM-suspekte Substanzen“ (u. a. ein „szenetypisches Kügelchen“), Bargeld und ein Handy aufgefunden. Bei der Festnahme sei der A aufgebracht und aggressiv gewesen, als würde er ihn gleich schubsen. Der A sei durch seinen Kollegen in englischer Sprache belehrt worden.
Z5 tritt sehr selbstbewusst auf, er scheint sich über die detaillierten Nachfragen von V zu ärgern. Als es zwischen Z5 und V zu einer Diskussion kommt, zeigt R keine Reaktion. Die StA mischt sich schließlich auf Seiten des Z5 in die Diskussion ein.

Die 6. Zeugin (Z6), Polizeibeamtin, berichtet, sie habe am 29.06.15 über einen Monitor den Eingang des Görlitzer Parks von der Falckensteinstraße aus beobachtet. Sie sagt auf Nachfrage, sie könne sich nicht an das Gesicht des A erinnern. Ihre Angaben sind insgesamt durcheinander, was sie auch von sich aus thematisiert: sie könne sich nicht genau an die Situation erinnern, sie habe zu der Zeit auch Überstunden gemacht. Im Juni und Juli sei sie insgesamt drei bis vier Mal an diesem Ort eingesetzt worden.
R will wissen – offenbar um vermeintliche Klarheit in die Schilderungen der Z6 zu bringen – ob eine weiße und eine schwarze Person dabei gewesen seien. Z6 bejaht dies und spricht in der Folge von dunkel- und hellhäutigen Personen.
V bezieht sich auf eine Stelle in der schriftlichen zeugenschaftlichen Äußerung von Z6 – darin wird eine Person als „deutsch“ beschrieben – und fragt, woran sie eine deutsche Person erkenne. Z6 erwidert, sie schreibe normalerweise „europäisch“, und damit meine sie „hellhäutig“.

Der 7. Zeuge (Z7), Polizeibeamter, sagt gleich eingangs, er habe seinen eigenen Bericht nicht mehr finden können. Deshalb habe er sich nicht auf die Verhandlung vorbereiten können. Es stellt sich heraus, dass Z7 einen weiteren Beschuldigten überprüft hat.

11:00 Uhr
Die zu 11 Uhr geladenen Zeugen werden hereingerufen und belehrt.

Zeuge 8 (Z8), kaufmännischer Angestellter, macht keine Aussage, weil gegen ihn ein Verfahren läuft.

Zeuge 9 (Z9), Polizeibeamter, hat bei einem mutmaßlichen Erwerber eine Sofortvernehmung gemacht.

Zeuge 10 (Z10), Polizeibeamter, kann keine Angaben zur Person des A machen, da er im Transportfahrzeug gesessen habe. Z10 wird zur Festnahme eines mutmaßlichen Erwerbers befragt; dabei geht es vor allem um die Frage, wann dem Erwerber der Tatvorwurf gemacht wurde, wann er belehrt wurde und wann er durchsucht wurde.

11:30 Uhr
Polizeibeamt_innen, die zuvor als Zeug_innen ausgesagt haben, setzen sich neben die Prozessbeobachter_innen auf die Zuschauerbank.

Zeuge 11 (Z11), Polizeibeamter, erklärt, er habe sich aufgrund einer Verwirrung mit dem Aktenzeichen nicht auf die mündliche Verhandlung vorbereiten können. Er soll einen weiteren Beschuldigten vernommen haben. An den A kann er sich nicht erinnern.

11:35 Uhr
Die Verhandlung wird bis 12:00 Uhr unterbrochen.

12:00 Uhr
Die Verhandlung wird fortgesetzt; die zu 12 Uhr geladenen Zeugen werden hereingerufen und belehrt.

Zeuge 12 (Z12), Maschinentechniker und mutmaßlicher Erwerber, kommt mit einer Dolmetscherin für Kroatisch in den Zeugenstand. Das Verfahren gegen ihn wurde bereits eingestellt.
Es geht nun um die Vorfälle vom 06.08.15. Z12 sagt, er sei an diesem Tag mit einem Freund im Görlitzer Park gewesen. Dort sei ihm „eine grünliche Substanz“ zum Kauf angeboten worden. Es sei unmöglich, dort vorbeizugehen ohne etwas angeboten zu bekommen. Der Richter bestätigt, er kenne das Problem.
Z12 sagt, er könne den Verkäufer nicht beschreiben, das habe er auch unmittelbar danach nicht gekonnt, denn die Verkäufer würden „alle gleich aussehen“. Der Richter fragt nach, ob das ein Europäer oder ein Asiate oder womöglich ein Australier gewesen sei. Z12 antwortet, ein Europäer sei der Verkäufer wohl nicht gewesen. R ist mit dieser Antwort offenbar noch nicht zufrieden und möchte wissen, wie Z12 die Hautfarbe des Verkäufers beschreiben würde. Z12 erwidert, dass diese Frage ihm etwas rassistisch vorkomme (zustimmendes Klopfen eines Prozessbeobachters), sagt dann aber, der Verkäufer sei schwarz gewesen. Der Richter widerspricht: es sei nicht rassistisch, wenn er nach der Hautfarbe des Verkäufers frage.
Z12 wurde ebenfalls vorübergehend von Polizeibeamten festgehalten. Seine Personalien wurden aufgenommen; darüber hinaus wurde er von einem Polizisten, der kroatisch sprach, vernommen. In der Befragung durch V stellt sich heraus, dass Z12 sich nicht daran erinnern kann, vor der Vernehmung belehrt worden zu sein. Er sei zwar gefragt worden, ob er an der Aufklärung des Vorfalls mitwirken wolle, ihm sei aber nicht mitgeteilt worden, dass ihm ebenfalls eine Straftat vorgeworfen wurde.

Zeuge 13 (Z13), Polizist, war am 06.08.15 als Zivilpolizist im Einsatz, war Sprachmittler (kroatisch) für Z12. Z13 hat beobachtet, dass der A bei der Festnahme mit den Armen um sich geschlagen habe; einen gezielten Faustschlag habe er jedoch nicht erkennen können. Eine weitere beschuldigte Person habe mit den Worten „I got the best weed“ BTM angeboten. Der A habe eine Schnittwunde am Fuß gehabt.
Zwei Frauen hätten die polizeiliche Maßnahme gestört; eine der Frauen habe telefoniert und einen Anwalt (V) gerufen, der dann gekommen sei.
Im Zuge der Befragung durch V deutet sich an, dass Z13 Z12 nicht ordnungsgemäß belehrt, sondern lediglich Auszüge aus der Belehrung sinngemäß übersetzt hat.

13:05 Uhr
Die Verhandlung wird für 30 Minuten unterbrochen.

13:40 Uhr
Fortsetzung der Verhandlung, die übrigen Zeugen werden hereingerufen und belehrt.

Zeuge 14 (Z14), Polizeibeamter, hat beobachtet, wie der A einem Erwerber ein „szenetypisches Päckchen“ übergeben hat, war dann bei der Festnahme des A anwesend. Der A habe hierbei „rumgefuchtelt“. R will wissen, ob der A lediglich „rumgefuchtelt“ habe oder ob es sich um einen gezielten Schlag gehandelt habe. Z14 sagt, es sei ein gezielter Schlag gewesen.
Z14 gibt an, er könne sich nicht an das Gesicht des A erinnern.
An späterer Stelle in der Befragung sagt Z14, der von den Frauen gerufene Rechtsanwalt (Z) habe die polizeiliche Maßnahme gestört. V erkundigt sich, was das für eine Maßnahme gewesen sei, woraufhin Z14 sagt, er habe eine Durchsuchung gemacht. V will wissen, auf welcher Basis die Durchsuchung durchgeführt worden sei. Z14 sagt: strafprozessual. V hält vor, dass Beschuldigte jederzeit Anspruch auf einen anwaltlichen Beistand hätten. Insofern sei es irritierend, wenn Z14 sage, er (V) habe die Maßnahme gestört.

Zeuge 15 (Z15), Polizeibeamter, war am 08.08.15 als Zivilpolizist im Einsatz. Z15 hat den A verfolgt, als dieser versucht hat, bei der Festnahme wegzurennen. Z15 habe sich in einer Rangelei mit A eine Kapselverletzung am Ringfinger zugezogen (diese sei eine Woche nach dem Vorfall diagnostiziert worden, er sei daraufhin 3-4 Tage krankgeschrieben worden).

Gegen 14:30 Uhr muss die Verhandlung kurz unterbrochen werden, weil die Protokollantin aufgrund eines Hustenanfalls nicht weiterarbeiten kann und eine Vertreterin gerufen werden muss.

14:55 Uhr
Die Verhandlung wird fortgesetzt. V erklärt, dass der A sich bei Z15 entschuldigen möchte und fragt, ob dieser die Entschuldigung annehme. Z15 bejaht dies.
Daraufhin gibt der Richter bekannt, dass in der Zwischenzeit V eine Verständigung mit dem Gericht und der StA initiiert habe. Der A sei bereit, die ihm vorgeworfenen Taten zu gestehen. Ihm werde dafür eine Freiheitsstrafe zwischen 1 Jahr und 2 Monaten und 1 Jahr und 4 Monaten in Aussicht gestellt, die zur Bewährung ausgesetzt werde. Der A stimmt dem Vorschlag zu und gibt die ihm vorgeworfenen Taten (gemeinschaftlicher BTM-Verkauf im Juni, Handel mit BTM, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung im August) zu.
Auf die Vernehmung weiterer Zeugen wird verzichtet.

Das Verfahren bezüglich des Vorfalls am 26.04.15 wird auf Antrag der StA eingestellt.
R stellt fest, dass A in Deutschland nicht vorbestraft ist.

Urteil
Der A habe sich des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte, Körperverletzung und BTM-Handels schuldig gemacht und sei zu einer Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 3 Monaten zu verurteilen. Die Strafe werde zur Bewährung ausgesetzt (Bewährungszeit: 3 Jahre). Außerdem werde dem A ein dreijähriges Aufenthaltsverbot im Görlitzer Park erteilt, er bekomme einen Bewährungshelfer und müsse 100 Stunden gemeinnützige Arbeit leisten. Der Haftbefehl vom 07.08.15 werde aufgehoben.

Das Urteil ist nicht rechtskräftig.